AG Hamburg-St. Georg, Beschluss vom 15.7.2022 - 970 VI 1412/19- (Eine Anfechtung gemäß § 2079 S. 2 BGB ist ausgeschlossen, weil anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.)

 

Zentrale Normen:

FamFG § 343 Abs. 2,§ 352 Abs. 1 Nr. 5

BGB § 142 Abs. 1, § 2079, § 2080, § 2289, § 2290, § 2303 Abs. 1

EuErbVO Art. 22, Art. 25 Abs. 3, Art. 26 Abs. 3

BGB

 

Tenor: 

  1. Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) in der Fassung vom 16.01.2020 wird zurückgewiesen.

 

  1. Die zur Begründung des Antrags des Beteiligten zu 2) vom 23.10.2020 auf Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.

 

  1. Von den Kosten des Verfahrens tragen die gerichtlichen Kosten die Beteiligten je zu 50%. Der Beteiligte zu 1) trägt seine eigenen außergerichtlichen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 2).

 

  1. Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird ausgesetzt. Die Erteilung des Erbscheins wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.

 

  1. Der Geschäftswert wird auf 2.500.000 € festgesetzt.

 

Gründe: 

I)

1 Der Erblasser Professor Dr. H. wurde am […] in […] (jetzt […]) geboren und ist am ... in Südafrika verstorben. Der Erblasser besaß die deutsche und die südafrikanische Staatsbürgerschaft. Der Erblasser hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in Südafrika. Er war dort an der […] als Professor für Internationales Recht tätig. Er verfügte über Vermögen in Südafrika, Deutschland und der Schweiz. Die letzte Anschrift des Erblassers in Deutschland war […] (vergleiche die gerichtliche Verfügung vom 27.09.2019 auf Blatt 28 der Gerichtsakte). Die Anschrift befindet sich im Bezirk des hiesigen Gerichts.

 

2 Die Mutter des Erblassers war G.B. Diese ist am […] nachverstorben. Frau B. war deutsche Staatsbürgerin. Mit Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 30.08.2019 (Bl. 36 der Gerichtsakte) wurde als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben von Frau B. der Beteiligte zu 2) bestellt. Frau B. stand zu ihren Lebzeiten unter Betreuung. Zu ihrem Betreuer war der Erblasser bestellt worden, als Ersatzbetreuer fungierte der Zeuge K..

 

3 Der Erblasser errichtete am 03.10.1976 ein handschriftliches Testament. In diesem setzte er für den Fall, dass er ledig und (so wörtlich) „unbekindert“ versterben sollte, seine Mutter als Alleinerbin ein. Weiterhin enthält das Testament eine Regelung zu Ersatzerben. Ein Nachtrag vom 23.12.1977 enthält Regelungen zu den corpsstudentischen Habseligkeiten des Erblassers; der Erblasser war ausweislich dieses Nachtrages zu jener Zeit Mitglied der Studentenverbindung […].

 

4 Der Erblasser hatte eine Lebensgefährtin, T.. Beide hatten sich nach ihren Angaben etwa im April 2014 kennengelernt. Nachfolgend entwickelte sich eine Liebesbeziehung (vgl. das Founding Affidavit der Lebensgefährtin vom 14.11.2019, Bl. 87f der Gerichtsakte).

 

5 Der Erblasser und seine Mutter schlossen am 05.05.2018 zur Urkunde des Notars J. (UR-Nr. 72/2018, Blatt 37 der Gerichtsakte) einen Erbvertrag. In dem Erbvertrag setzten sich der Erblasser und seine Mutter gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Zudem widerriefen sie vorsorglich alle bisher von ihnen getroffenen Verfügungen von Todes wegen. Sodann heißt es wörtlich:

„Die beiderseitigen Verfügungen sollen vertragsgemäß sein. Über die durch diesen Erbvertrag eintretenden Bindungen wurden wir vom beurkundenden Notar belehrt. … Auf die Bedeutung und die Auswirkung eines Erbvertrages, namentlich darauf, dass die erbvertraglichen Bestimmungen einseitig weder aufgehoben, noch abgeändert werden können, wurden wir … vom Notar hingewiesen. “.

 

6 Eine Rechtswahlklausel enthält der Erbvertrag nicht. Auch ein Rücktrittsrecht ist in dem Erbvertrag nicht vorbehalten.

 

7 Bei Abschluss des Erbvertrags war ausweislich der notariellen Urkunde der Beteiligte zu 1) zugegen.

 

8 Ebenfalls am 05.05.2018 beurkundete der Notar J. ein Schenkungsversprechen des Erblassers gegenüber dem Zeugen K. (UR-Nr. 73/2018, Bl. 644 der Gerichtsakte). Dieses hat folgenden Gegenstand: Die Mutter des Erblassers hatte ein Forstgut schenkweise übertragen. Der Erblasser hatte diese Übertragung in Prozessstandschaft für seine Mutter angefochten. Für den Fall, dass der Prozess um die Rückübertragung zu Gunsten seiner Mutter ausgehen würde, versprach der Erblasser mit dem beurkundeten Schenkungsversprechen, dem Zeugen K. bestimmte Ländereien aus dem Bestand des Forstguts zu schenken. Grund für die Schenkung war, dass sich der Zeuge K. um die Mutter des Erblassers verdient gemacht habe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die notarielle Urkunde verwiesen.

 

9 Der Erblasser machte seiner Lebensgefährtin am 26.6.2018 (ihrem Geburtstag) einen Heiratsantragt (vgl. ihre Angaben im Founding Affidavit vom 14.11.2019, Bl. 88).

 

10 Am 29.01.2019 errichtete der Erblasser ein Testament, in dem er seine Lebensgefährtin als Alleinerbin einsetzte. Weiterhin setzte er P. als Testamentsvollstrecker („Executor“) für den in Südafrika befindlichen Nachlass ein. Für seinen in Deutschland und der Schweiz befindlichen Nachlass setzte der Erblasser den Beteiligten zu 1) ein. Das Testament ist maschinengeschrieben und vom Erblasser sowie zwei Zeugen unterschrieben. Eine Rechtswahlklausel enthält das Testament nicht.

 

11 Ebenfalls am 29.1.2019 heiratete der Erblasser seine Lebensgefährtin T.. Nachfolgend veranlasste er auch, dass die minderjährige Tochter seiner Lebensgefährtin, M., durch ihn adoptiert werde. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind zwischen den Beteiligten streitig.

 

12 Ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 29.1.2019 testierfähig bzw. bei der Heirat und Adoption geschäftsfähig war, ist zwischen den Parteien streitig: Der Erblasser litt unter Prostatakrebs. Im Zuge der Behandlung war es zu einer Infektion der Lunge gekommen. Ausweislich einer Bescheinigung der Ärztin Dr. van D. vom 25.01.2019 (Blatt 134 der Gerichtsakte) war der Erblasser zu diesem Zeitpunkt (25.1.2019) nicht in der Lage, seinen Angelegenheiten nachzukommen („unable to conduct his own affairs at the moment“). In einem weiteren Schreiben der Ärztin Dr. van D. vom 04.05.2020 (Blatt 185 der Gerichtsakte) heißt es, dass der Erblasser ab dem 25.1.2019 einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) unterzogen wurde. Hierbei übernimmt vereinfacht gesagt eine Maschine die Atemfunktion des Patienten. In dem Schreiben vom 4.5.2020 heißt es weiter, dass der Erblasser aufgrund dieser Behandlung nicht mehr habe sediert werden müssen. Am 27.1.2019 habe man den Erblasser extubieren können. Er sei ab diesem Zeitpunkt wach gewesen und habe klar kommunizieren können. Zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich entschieden habe zu heiraten, habe er unter keinerlei sedierenden Medikamenten oder Opioiden gestanden. Sie habe den Erblasser untersucht und der Erblasser sei hinsichtlich Datum, Zeit, Ort und Person orientiert gewesen.

 

13 Mit Schriftsatz von Rechtsanwalt D. vom 01.04.2019 (Blatt 64 der Gerichtsakte) erklärte T. gegenüber dem Amtsgericht Celle (Nachlassgericht) die Anfechtung des Erbvertrags, gestützt auf §§ 2079, 2080 BGB. Mit Schriftsatz vom 10.8.2020 und 30.8.2021 teilte der Beteiligte zu 1) mit, M. habe den Erbvertrag ebenfalls angefochten.

 

14 Der Beteiligte zu 1) stellte am 16.05.2019 zur Urkunde des Notars Dr. F. einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, wonach T. aufgrund des Testaments vom 29.1.2019 Alleinerbin des Erblassers geworden ist. In dem Erbscheinsantrag wird der Erbvertrag vom 05.05.2018 nicht erwähnt; der Erbscheinsantrag enthält zu der Frage, ob weitere Verfügungen von Todes wegen vorhanden sind, entgegen § 352 Abs. 1 Nr. 5FamFG keine Angaben. Eine gegenständliche Beschränkung des Erbscheinsantrags auf das in Deutschland befindliche Nachlassvermögen erfolgte nicht.

 

15 Mit seiner Verfügung vom 20.11.2019 teilte das Gericht mit, dass der Erbscheinsantrag in seiner Fassung vom 16.05.2019 keine Aussicht auf Erfolg habe.

 

16 Unter dem 16.01.2020 ergänzte der Beteiligte zu 1) zur Urkunde des Notars Dr. F. seinen Erbscheinsantrag vom 16.05.2019. Der Beteiligte zu 1) begehrt nunmehr die Erteilung eines Fremdrechtserbscheins, der auf das in Deutschland befindliche Nachlassvermögen beschränkt ist. In der Ergänzung vom 16.1.2020 heißt es, der Erbvertrag vom 05.05.2018 sei durch die Ehefrau des Erblassers angefochten worden.

 

17 Unter dem 10.09.2020 stellte der Beteiligte zu 2) in seiner Eigenschaft als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben von Frau B. einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, wonach B. Alleinerbin des Erblassers geworden ist. Ausweislich des Erbscheinsantrages soll der Erbschein gegenständlich beschränkt werden auf das in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz belegene Vermögen. Unter dem 23.10.2020 änderte der Beteiligte zu 2) seinen Erbscheinsantrag. Er begehrt nunmehr die Erteilung eines Erbscheins, welcher sich auf den gesamten Nachlass bezieht.

 

18 Der Beteiligte zu 1) trägt unter anderem folgendes vor:

 

19 Zum Zeitpunkt der Eheschließung, Testamentserrichtung und Adoptionsbeauftragung habe sich der Erblasser bei vollem Bewusstsein befunden. Dies habe die behandelnde Ärztin Dr. van D. auch bestätigt. Der Erblasser habe sich am 25. Januar 2019 in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand befunden. Er habe künstlich beatmet werden müssen. Statt ihn sterben zu lassen habe sich die Möglichkeit geboten, die Lungenfunktion durch die ECMO-Behandlung zu unterstützen und ihm ein bewusstes Weiterleben bei klarem Verstand zu ermöglichen.

 

20 Die Testamentserrichtung sei kurz vor der Eheschließung entsprechend den südafrikanischen Vorschriften im Beisein von zwei Zeuginnen erfolgt. Bei den Zeuginnen handele es sich um die dem Verstorbenen permanent und ausschließlich zu dessen Betreuung im Schichtbetrieb zugeordneten Krankenschwestern.

 

21 Der Beteiligte zu 1) meint, für das Testament sei konkludent das südafrikanische Recht gewählt worden. Das Testament entspreche in Form und Diktion südafrikanischen Testamenten. Schon die Sprachwahl sei ein entscheidender Hinweis auf die gewählte Rechtsordnung. Ein Anlass für die Vereinbarung deutschen Rechts habe nicht bestanden. Weiterhin würden, obwohl sowohl der Erblasser als auch der Beteiligte zu 1) deutsche Ausweispapiere besäßen, deren südafrikanische ID-Nrn. aufgeführt. In deutschen Testamenten sei die Angabe von Ausweisnummern weder erforderlich noch üblich. Die Testamentsvollstrecker würden außerdem von der Erbringung einer im deutschen Recht so nicht bekannten Sicherheitsleistung für ihre Tätigkeit befreit. Auch die fehlende ausdrückliche Rechtswahl spreche für die Anwendbarkeit südafrikanischen Rechts. Bei Errichtung eines Testaments in Südafrika zwischen südafrikanischen oder zumindest in Südafrika lebenden Beteiligten hätte gerade die Anwendbarkeit deutschen Rechts einer Erwähnung bedurft.

 

22 Hinsichtlich des Erbvertrags meint der Beteiligte zu 1), dieser sei wirksam angefochten worden, nämlich nach § 2079 BGB wegen Übergehens der Ehefrau und der (adoptierten) Tochter des Erblassers als Pflichtteilsberechtigte. Der Erbvertrag unterliege deutschem Recht. Da dessen Anwendung nur einheitlich erfolgen könne, richte sich auch die Anfechtung des Erbvertrags nach deutschem Recht. Jedoch sei auch nach südafrikanischem Recht eine vollumfängliche Anfechtung eines Testaments möglich. Zudem wäre der Erbvertrag in Südafrika wegen Verstoßes gegen die Testierfreiheit unzulässig.

 

23 Der Beteiligte zu 2) trägt unter anderem folgendes vor:

 

24 Der Erblasser habe unmittelbar vor einem vollständigen Lungenversagen gestanden. In diesem Zustand sei der Erblasser nicht mehr in der Lage gewesen, zu testieren. Er sei geschäfts- und testierunfähig gewesen. Hinzu komme, dass der Erblasser wegen des Karzinoms und der im Körper verstreuten Metastasen unter extremen Schmerzen gelitten haben müsse und mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Morphium behandelt worden sei. Dies schließe ebenfalls eine Testierfähigkeit aus. Die Krankenakte stehe im Widerspruch zu der Aussage von Dr. van D., wonach der Erblasser am 29.1.2019 nicht unter Medikamenteneinfluss gestanden habe. Er habe das Schmerzmittel Senaleve (in der Krankenakte als „Senaleave“ bezeichnet) erhalten, welches bewusstseinseinschränkend wirke. Sowohl das Testament als auch die Heirat sowie die Adoption seien vor diesem Hintergrund unwirksam.

 

25 Aufgrund der unwirksamen Heirat und der Unwirksamkeit der Adoption würden die von der Witwe des Erblassers sowie deren Tochter erklärte Anfechtung des Erbvertrages ins Leere gehen. Nach südafrikanischem Recht bestünde ohnehin kein Pflichtteilsrecht und damit auch kein Anfechtungsrecht nach § 2079 BGB.

 

26 Zudem werde bestritten, dass die auf dem Testament erkennbare Unterschrift vom Erblasser stamme. Ebenfalls werde bestritten, dass die Unterschrift in Gegenwart der im Dokument benannten Zeugen vollzogen worden seien. Es werde bestritten, dass das Testament vom Erblasser im Beisein von zwei Zeugen unterzeichnet und alsdann von den Zeugen gegengezeichnet worden sei. Konkrete Hinweise dafür, dass das Testament nicht vom Erblasser sowie von den im Dokument benannten Zeugen unterzeichnet worden ist, gebe es freilich nicht. Allerdings sei die Unterschrift des Erblassers unter dem Testament für jemanden, der im Sterben liegt, erstaunlich klar.

 

27 Des weiteren werde bestritten, dass nach südafrikanischen Recht durch Unterzeichnung eines maschinenschriftlich vorformulierten Testaments wirksam testiert werden könne.

 

28 Das Testament sei auch aufgrund des zwischen dem Erblasser und seiner Mutter abgeschlossenen Erbvertrages unwirksam. Der Beteiligte zu 1) sei aufgrund der Unwirksamkeit des Testaments nicht antragsberechtigt.

 

II) 

 

29 Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) ist dagegen zurückzuweisen. Aufgrund des Erbvertrags vom 05.05.2018 ist die Mutter des Erblassers dessen Alleinerbin geworden.

 

30 1) Eingangs ist festzuhalten, dass das angerufene Gericht örtlich und auch international zuständig ist. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 10Abs. 1 lit. a) EuErbVO. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 343 Abs. 2 FamFG.

 

31 2) Sowohl hinsichtlich des Erbvertrags als auch für die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen ist deutsches Recht anwendbar. Das vom Erblasser errichtete Testament ändert daran nichts (dazu a). Der Erbvertrag ist wirksam (dazu b). Er ist insbesondere nicht wirksam angefochten worden (dazu c). Das Testament des Erblassers vom 29.01.2019 ist damit bereits deshalb unwirksam, weil es die Rechte seiner Mutter als im Erbvertrag vertragsmäßig Bedachte beeinträchtigen würde (dazu d). Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob der Erblasser bei Errichtung des Testaments vom 29.01.2019 tatsächlich testierfähig gewesen ist. Dahinstehen kann ebenfalls, ob das Testament auch ansonsten wirksam errichtet worden ist. Weiterhin kann dahinstehen, ob der Erblasser seine Lebensgefährtin wirksam geheiratet und deren Tochter wirksam adoptiert hat.

 

32 a) Hinsichtlich des anwendbaren Rechts gilt folgendes:

 

33 aa) Der Erbvertrag enthält keine ausdrückliche Rechtswahl. Wie der Verweis von Art. 25 Abs. 3 EuErbVO auf Art. 22 EuErbVO zeigt, muss eine Rechtswahl jedoch nicht ausdrücklich erfolgen. Sie kann sich auch aus den Bestimmungen des Erbvertrags ergeben. Ausweislich des Erwägungsgrundes 39 zur EuErbVO ist eine Rechtswahl insbesondere dann anzunehmen, wenn Bezug auf spezifische Bestimmungen des Rechts eines Staates genommen wird oder das Recht dieses Staates in anderer Weise erwähnt wird.

 

34 Im Rahmen ihrer Rechtswahl haben die Vertragsparteien die Möglichkeit, nach Art. 25 Abs. 3 EuErbVO eine Rechtswahl lediglich bezüglich der Zulässigkeit, der materiellen Wirksamkeit und der Bindungswirkung des Erbvertrags zu treffen (das für diese Teilbereiche gewählte Recht nachfolgend das „Errichtungsstatut“). Sie können aber auch eine umfassende Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO für das gesamte Erbstatut treffen (MüKoBGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, EuErbVO Art. 25 Rn. 6; Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen - EuErbVO - HUP, EuErbVO Art. 25 Rn. 22, beckonline). Ob die Vertragsparteien nur das Errichtungsstatut bestimmen wollten oder eine umfassende Rechtswahl treffen wollten, ist durch Auslegung zu ermitteln (Hüßtege/ Mansel, a.a.O.).

 

35 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Bestimmungen des Erbvertrages, dass die Vertragsparteien das deutsche Recht wählen wollten. Der Erbvertrag geht ersichtlich von den in §§ 2289, 2290 BGB vorgesehenen Bindungswirkungen aus. So hat der beurkundende Notar die Vertragsparteien darüber belehrt, dass die Bestimmungen des Erbvertrags nicht einseitig durch eine Vertragspartei aufgehoben werden können.

 

36 Die Wahl des deutschen Rechts war vorliegend auch zulässig. Nach Art. 25 Abs. 3, 22 Abs. 1 EuErbVOkonnten die Vertragsparteien das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehörten. Eine Person, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann hierbei das Recht eines der Staaten wählen, denen sie angehört (Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 EuErbVO). Vorliegend war Frau B. deutsche Staatsangehörige. Auch der Erblasser hatte neben der südafrikanischen Staatsbürgerschaft zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft.

 

37 Das Gericht versteht diese Rechtswahl dahingehend, dass die Vertragsparteien nicht nur das Errichtungsstatut bestimmen wollten, sondern eine umfassende Rechtswahl vornehmen wollten. Im Zweifel ist zu vermuten, dass eine umfassende Rechtswahl nach Art. 22EuErbVO vorgenommen werden sollte (für eine solche ungeschriebene Vermutungsregel MüKoBGB/Dutta, EuErbVO Art. 24 Rn. 14, beckonline). Es ist nämlich grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass ein Erblasser bzw. hier die Vertragsparteien ihre Erbfolge potenziell unterschiedlichen Rechten unterwerfen möchten (MüKoBGB/Dutta, a.a.O.). Für eine solche Vermutung spricht auch, dass derjenige, der nur eine spezifische Teilrechtswahl vornehmen möchte, diesen besonderen Regelungswunsch tendenziell explizit äußern wird (BeckOK BGB/Loyal, 62. Ed. 1.5.2022, EuErbVO Art. 24 Rn. 20). Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien des Erbvertrags lediglich das Errichtungsstatut wählen wollten. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass im Rahmen der Vorbereitung und anschließenden Beurkundung des Erbvertrags die Frage des anwendbaren Rechts nicht ausdrücklich erörtert worden ist. Wenn aber die Frage der anwendbaren Rechtsordnung nicht Gegenstand der Erörterung war, kann dies nur bedeuten, dass die Parteien von der Geltung einer einheitlichen Rechtsordnung ausgegangen sind. Alles andere hätte nämlich einer Erörterung bedurft und wäre sicherlich auch ausdrücklich geregelt worden.

 

38 bb) Sowohl das Errichtungsstatut des Erbvertrags als auch das Erbstatut insgesamt sind auch nicht durch das Testament des Erblassers vom 29.01.2019 abgeändert worden. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der Erblasser bei Errichtung dieses Testaments überhaupt testierfähig gewesen ist und ob das Testament auch ansonsten als wirksam zu betrachten ist.

 

39 Wie vom Beteiligten zu 1) ausgeführt dürfte der Erblasser in seinem Testament zwar konkludent das südafrikanische Recht gewählt haben. Das Errichtungsstatut kann jedoch nur durch die Parteien des Erbvertrags gemeinsam abgeändert werden (MüKoBGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, EuErbVO Art. 25 Rn. 6; vgl. auch Hüßtege/Mansel, BGB, Rom-Verordnungen - EuErbVO - HUP, EuErbVO Art. 25 Rn. 21). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 3 EuErbVO, wonach die Rechtswahl durch „die Parteien“, dh. sämtliche Vertragsparteien gemeinsam, zu erfolgen hat. Wenn schon die ursprüngliche Rechtswahl durch sämtliche Vertragsparteien zu erfolgen hat, muss dies auch für eine nachträgliche Änderung der Rechtswahl gelten.

 

40 Art. 26 Abs. 3 EuErbVO gilt freilich nur für das Errichtungsstatut, nicht dagegen hinsichtlich des Erbstatuts. Für die Abänderbarkeit des Erbstatuts enthält die EuErbVO keine ausdrückliche Regelung. Allerdings bestimmt Art. 22 Abs. 3 EuErbVO, dass die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, dem gewählten Recht unterliegt. Damit muss auch die Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die das gewählte Recht geändert wird, (und damit die Abänderbarkeit des Erbstatuts insgesamt) dem ursprünglich gewählten Recht (hier also dem deutschen Recht) unterliegen (MüKoBGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, EuErbVO Art. 22 Rn. 31).

 

41 Nach deutschem Recht konnte der Erblasser das Erbstatut deshalb nicht einseitig durch Testament ändern, weil es sich zur Überzeugung des Gerichts bei der Rechtswahl um eine vertragsmäßige Verfügung im Sinne von § 2278 Abs. 1 BGB handelt.

42 Hierfür ist zunächst festzuhalten, dass die Wahl des anzuwendenden Erbrechts nach § 2278 Abs. 2 BGBgrundsätzlich vertragsmäßig getroffen werden kann. Welche Art von Verfügungen vertragsmäßige Verfügungen sind, ergibt sich aus dem Gesetz indes nicht. Der Begriff der vertragsmäßigen Verfügungen ist dort nicht definiert. Es existiert auch keine Auslegungsregel. Für die Frage, ob eine Verfügung als vertragsmäßige Verfügung zu qualifizieren ist, ist der Wille der Vertragsparteien entscheidend (BeckOGK/Röhl, 1.5.2022, BGB § 2278 Rn. 13). Der Wille der Vertragsparteien ist ebenfalls entscheidend für die Frage, ob eine Verfügung, die nicht ausdrücklich als vertragsmäßig getroffen bezeichnet ist, als vertragsmäßig gewollt anzusehen ist (OLG Hamm NJW-RR 2005, 450).

 

43 Vorliegend enthält der Erbvertrag - naturgemäß - keine Aussage dazu, ob die Rechtswahl eine vertragsmäßige Verfügung darstellen sollte. Wie ausgeführt ist die Rechtswahl nicht ausdrücklich, sondern lediglich konkludent erfolgt. Dass die Rechtswahl eine vertragsmäßige Verfügung darstellen sollte, ergibt sich aber aus folgender Überlegung: Die Erbeinsetzung ist vorliegend als vertragsmäßige, beide Parteien bindende Verfügung erfolgt. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Erbvertrages. Ausdrücklich heißt es: „Die beiderseitigen Verfügungen sollen vertragsgemäß sein.“ (für das Vorliegen einer vertragsmäßigen Verfügung bei einer derartigen Formulierung Horn/Kroiß Testamentsauslegung, § 21 Abgrenzungsfälle zur Feststellung der Vertragsmäßigkeit erbvertraglicher Verfügungen und zu Änderungsklauseln Rn. 20, beckonline). Damit die Erbeinsetzung diese Bindungswirkung entfalten kann, muss auch das Sachrecht, welches die Bindung bereitstellt (im vorliegenden Fall das deutsche Recht), als vertragsmäßig vereinbart i.S.v. § 2278 Abs. 1 BGB angesehen werden. Ansonsten könnte man (jedenfalls nach den Vorschriften des BGB) die Bindungswirkung durch eine Änderung des Sachrechts „durch die Hintertür“ wieder beseitigen. Die Rechtswahl ist damit jedenfalls so lange als vertragsmäßige Verfügung anzusehen, wie die Parteien - wie hier - nicht ausdrücklich vereinbaren, dass die Rechtswahl nicht vertragsgemäß sein soll.

44 Nach dem vorstehend Gesagten lässt sich zunächst einmal nur die Wahl des Errichtungsstatuts als vertragsmäßig vereinbart im Sinne von § 2278 Abs. 1BGB ansehen, da nur das Errichtungsstatut für die Frage der Bindungswirkung maßgeblich ist. Wie bereits ausgeführt haben die Vertragsparteien im vorliegenden Fall im Rahmen der Rechtswahl aber nicht differenziert zwischen dem Errichtungsstatut und dem Erbstatut. Mangels dieser Differenzierung ist die Rechtswahl somit im Ganzen als vertragsmäßige Verfügung einzuordnen, genauso wie die von den Vertragsparteien vorgenommene Rechtswahl (wie ausgeführt) sowohl für das Errichtungsstatut als auch für das Erbstatut maßgeblich ist. Zwar wäre es grundsätzlich auch denkbar, aufgrund der mangelnden Differenzierung die Rechtswahl insgesamt nicht als vertragsmäßige Verfügung einzuordnen. Eine solche Betrachtung würde aber dem Umstand nicht gerecht, dass jedenfalls das Errichtungsstatut - als Fundament für die Bindungswirkung der gegenseitigen Erbeinsetzung - bindend vereinbart werden sollte.

 

45 cc) Im Ergebnis gilt damit sowohl für Errichtungsstatut als auch für das Erbstatut ausschließlich das deutsche Recht.

 

46 b) Gemessen am deutschen Recht ist der Erbvertrag wirksam zustande gekommen. Das Gericht hat insbesondere keine Anhaltspunkte, dass die Mutter des Erblassers Frau B. testierunfähig gewesen wäre. Diese stand zwar zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags unter Betreuung. Eine Testierunfähigkeit ist von den Beteiligten jedoch nicht behauptet worden. Zudem ist nach den Angaben des Beteiligten zu 2) in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Celle zur Klärung der Frage, wer Erbe nach Frau B. geworden ist, ein Testierfähigkeitsgutachten eingeholt worden. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Testierunfähigkeit von Frau B. nicht habe festgestellt werden können.

 

47 Unerheblich ist, ob der Erbvertrag nach südafrikanischem Recht wirksam wäre. Für die Beurteilung der Wirksamkeit des Erbvertrags findet allein deutsches Recht Anwendung (Art. 25 Abs. 3 EuErbVO).

 

48 c) Der Erbvertrag ist nicht wirksam angefochten worden. Folge einer solchen Anfechtung wäre, dass der Erbvertrag von Anfang an unwirksam wäre (§ 142 Abs. 1 BGB), so dass dem nach dem Erbvertrag errichteten Testament des Erblassers trotz § 2289 Abs. 1 S. 2 BGBWirksamkeit zukommen würde (vg. Palandt-Weidlich § 2078 Rn. 10). Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an einem Anfechtungsgrund. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus § 2079 BGB.

 

49 aa) Die Anfechtbarkeit des Erbvertrags ist eine Frage, die zum Errichtungsstatut gehört. Nach Art. 26 Abs. 1lit. e EuErbVO gehören zur materiellen Wirksamkeit iSv. Art. 25 EuErbVO Fragen des Irrtums sowie alle sonstigen Fragen in Bezug auf Willensmängel. Art. 26Abs. 1 lit. e EuErbVO umfasst auch die Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, weil es sich hierbei objektiv betrachtet um einen Fall des Irrtums handelt (vgl. MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2079 Rn. 1 (Fall des Motivirrtums); ebenso Kappler in: Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019, Formen letztwilliger Verfügungen, Rn. 6_189; a.A. Stürner in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Art. 26 EuErbVO, Rn. 7: Erfasst sind so die Errichtung der Verfügung als Willenserklärung, die für den Zeitpunkt der Errichtung zu beurteilenden Willensmängel (zB § 2078, nicht § 2079 BGB)).

 

50 Die Frage, wer pflichtteilsberechtigt ist, stellt eine Vorfrage dar, die gesondert anzuknüpfen ist. Zur Beantwortung dieser (Vor-)Frage ist nach Art. 23 Abs. 2 lit. h EuErbVO auf das allgemeine Erbstatut abzustellen. Wie ausgeführt ist vorliegend insgesamt das deutsche Recht Erbstatut, sodass sich sowohl die Frage der Anfechtbarkeit des Erbvertrags als auch die Frage der Pflichtteilsberechtigung nach deutschem Recht richtet.

 

51 bb) Nach § 2303 Abs. 2 BGB wäre die Ehefrau des Erblassers grundsätzlich pflichtteilsberechtigt. Dasselbe gilt nach § 2303 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Kinder des Erblassers, zu denen auch adoptierte Kinder gehören (Palandt-Weidlich § 2303 BGB Rn. 9). Im vorliegenden Fall kann die Frage, ob Heirat und Adoption wirksam waren oder (insbesondere mangels Geschäftsfähigkeit des Erblassers) nicht, offenbleiben. Eine Anfechtung des Erbvertrages scheidet aus anderen Gründen aus.

 

52 Der Erblasser dürfte zwar T. und auch deren Tochter M. im Sinne von § 2079 BGB übergangen haben. Ein solches Übergehen liegt vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte weder enterbt noch als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht worden ist. Der Erblasser muss den Pflichtteilsberechtigten unbewusst nicht bedacht haben. Der Ausschluss von der Erbschaft darf kein Resultat bewusster Willensbildung sein (Burandt/Rojahn/Czubayko, 3. Aufl. 2019, BGB § 2079Rn. 14). Für eine solche unbewusste Entscheidung des Erblassers spricht hier der Umstand, dass die Lebensgefährtin und deren Tochter im Erbvertrag in keinster Weise erwähnt worden sind.

 

53 Allerdings ist die Anfechtung gemäß § 2079 S. 2 BGB ausgeschlossen, weil anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde:

 

54 Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen von § 2079S. 2 BGB vorliegen, kommt es auf den hypothetischen Willen des Testierenden im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung an. Die Prüfung ist darauf zu richten, wie er verfügt haben würde, wenn er zwar hinsichtlich der Person des Pflichtteilsberechtigten die spätere Sachlage richtig überblickt hätte, im Übrigen aber diejenigen Umstände auf sich hätte wirken lassen, die ihn zur Zeit der Errichtung des Testaments zu diesem bestimmt haben (BGH NJW 1981, 1735, 1736). Andere Veränderungen als die Kenntnis von der Person des Pflichtteilsberechtigten oder seinem Hinzutreten nach Testamentserrichtung dürfen somit nicht berücksichtigt werden (MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2079; Palandt-Weidlich § 2079 BGB Rn. 5). Da von den Erwägungen des Erblassers bei Errichtung des Testaments (bzw. hier des Erbvertrags) auszugehen ist, spielt es eine Rolle, ob mit künftig entstehenden Pflichtteilsrechten bereits zu rechnen war (MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2079 Rn. 19). War im Zeitpunkt der Errichtung für den Erblasser absehbar, dass er heiraten oder einen anderen adoptieren werde, so ist regelmäßig davon auszugehen, dass er diesen Umstand bei der Verfügung bereits berücksichtigt hatte (BayObLG FamRZ 1992, 988; BeckOK BGB/Litzenburger, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 2079 Rn. 11).

 

55 Es ist im vorliegenden Fall also zu fragen, ob der Erblasser den Erbvertrag auch dann mit dem vorliegenden Inhalt abgeschlossen hätte, wenn er schon im Zeitpunkt seines Abschlusses gewusst hätte, dass er seine Lebensgefährtin später heiraten und deren Tochter adoptieren würde. Das Gericht ist der Überzeugung, dass dies der Fall gewesen wäre:

 

56 (1) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Lebensgefährtin des Erblassers nicht erst nach Abschluss des Erbvertrags in dessen Leben getreten ist. Beide waren schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages in einer Beziehung. Nach den Angaben des Zeugen K. hatte der Erblasser seine Lebensgefährtin seiner Mutter bereits vor Abschluss des Erbvertrags vorgestellt gehabt. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass dem Erblasser seine Lebensgefährtin gerade in der Beurkundungsituation präsent war. Dies deshalb, weil sie nach den glaubhaften Bekundungen des beurkundenden Notars J. am Beurkundungstag mit im Büro des Notars gewesen ist, wenngleich sie bei der Beurkundung selbst nicht dabei war.

 

57 (2) Es spricht auch viel dafür, dass der Erblasser bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages die Absicht gehabt hat, seine Lebensgefährtin zu heiraten. Der Erblasser hat nämlich seiner Lebensgefährtin nach deren Angaben am 26.6.2018 (ihrem Geburtstag) und damit in zeitlicher Nähe zum Abschluss des Erbvertrags einen Heiratsantrag gemacht. Da dieses Datum von keinem der Beteiligten in Zweifel gezogen worden ist, geht das Gericht davon aus, dass die Angaben der Lebensgefährtin insoweit stimmen. Gegen eine entsprechende Heiratsabsicht des Erblassers zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages spricht auch nicht der Umstand, dass der Erblasser seine Heiratspläne offenbar gegenüber niemandem kommuniziert hatte. Jedenfalls hatte keiner der Beteiligten und auch kein Zeuge berichtet, dass ihm derartige Pläne bekannt gewesen wären. Der Zeuge D. hat im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, das Thema „Heirat“ sei für den Erblasser ein unangenehmes Thema gewesen. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass dies nicht darauf zurückzuführen ist, dass der Erblasser in Wirklichkeit nicht heiraten wollte. Grund dürfte vielmehr sein, dass die Mutter des Erblassers V. gegen die Eheschließung gehegt hätte. Nach den Angaben des Zeugen D. hatte die Mutter des Erblassers S., sich damit anzufreunden, dass ihr Sohn in Afrika lebt.

 

58 (3) Ein weiteres Indiz dafür, dass der Erblasser trotz der späteren Heirat/ Adoption den Erbvertrag mit dem vorliegenden Inhalt abgeschlossen hätte ist folgendes: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Erblasser davon ausgegangen, dass er seine Mutter überleben werde. Beide Beteiligte haben im Rahmen der Anhörung am 3. November 2020 entsprechendes bekundet (Blatt 495 der Gerichtsakte). Bestätigt wird dies zum einen durch die Angaben des Zeugen D.. Dieser hat im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, man sei entsprechend der allgemeinen Menschenkenntnis davon ausgegangen, dass der Sohn die Mutter überlebt, wenn der Sohn M. 40 ist, die Mutter dagegen bereits 85 oder 86 Jahre alt ist. Bestätigt wird dies weiterhin durch die Angaben des Zeugen K.. Dieser hat bekundet, es sei eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass - wie im Normalfall - der Sohn die Mutter überleben wird.

 

59 Ob die Annahme, dass der Erblasser seine Mutter überleben würde, vorliegend unter Berücksichtigung der Krebserkrankung des Erblassers gerechtfertigt war, kann dahinstehen. Es spricht viel dafür, dass die Annahme objektiv betrachtet nicht gerechtfertigt war. So hat der Zeuge H. im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, es sei allgemein bekannt gewesen, dass der Erblasser erkrankt gewesen sei und es auch um seine Mutter nicht mehr zum Besten stand, sodass es möglicherweise zu einem „Wettlauf“ zwischen beiden hätte kommen können.

 

60 Jedoch sind nicht die objektiven Gegebenheiten, sondern die subjektive Sicht des Erblassers maßgeblich. Diesbezüglich hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Erblasser seine Krebserkrankung bzw. deren Ernsthaftigkeit offenbar nicht wahrhaben wollte. Dies hat in dieser Form ausdrücklich der Beteiligte zu 1) so bekundet. Das Gericht hat zwar grundsätzlich erhebliche Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Beteiligten zu 1). Dies deshalb, weil es das Gericht für sehr wahrscheinlich hält, dass der Beteiligte zu 1) in seinem Erbscheinsantrag vom 16. Mai 2019 den Erbvertrag zwischen dem Erblasser und seiner Mutter absichtlich nicht erwähnt hat, um die dadurch hervorgerufenen rechtlichen Probleme zu umgehen. Der Beteiligte zu 1) war im Rahmen seiner Vernehmung im Termin am 20. April 2022 zu diesem Punkt befragt worden. Er konnte hierbei jedoch nicht erklären, wie es dazu kam, dass der Erbvertrag im Erbscheinsantrag vom 16. Mai 2019 keine Erwähnung gefunden hatte. Er hat lediglich angegeben, es sei für ihn völlig undenkbar, dem Gericht diesen Erbvertrag, der essenziell sei, vorzuenthalten. Auch der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1) hat hierzu in seinem Schriftsatz vom 12. Juni 2020 lediglich ausgeführt, die komplette Textpassage sei versehentlich gestrichen worden. Wer diese Textpassage gestrichen hat und vor allem warum dies erfolgte, teilt der Verfahrensbevollmächtigte jedoch nicht mit. Dass die Textpassage versehentlich gestrichen worden ist, erscheint schwer vorstellbar, bildet doch die Thematik des Erbvertrages und seiner Anfechtung das Herzstück des Erbscheinsantrags.

 

61 Das Gericht sieht es jedoch - dies sei ausdrücklich betont - nicht als erwiesen an, dass der Beteiligte zu 1) dem Gericht den Erbvertrag absichtlich vorenthalten hat. Es ist ebenso möglich, dass der Erbvertrag im Erbscheinsantrag vom 16. Mai 2019 aufgrund mangelnder Sorgfalt keine Erwähnung fand. Mangelnde Sorgfalt seitens des Beteiligten zu 1) findet sich nämlich auch bezüglich anderer Punkte. So hatte er bei Stellung des Erbscheinsantrags vom 16. Mai 2019 nicht erkannt, dass er nur bezüglich des in Deutschland und in der Schweiz befindlichen Nachlasses zum Testamentsvollstrecker bestellt worden war und er deshalb keine Kompetenz haben dürfte, einen Erbschein in Bezug auf den gesamten Nachlass zu beantragen. Auch wäre es fast aus formellen Gründen zu einer Abweisung des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 1) gekommen, weil dieser keine apostillierte Kopie des Testaments des Erblassers eingereicht hat, obwohl ihm eine solche Kopie zur Verfügung stand und das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass die Vorlage einer Kopie des Testaments nur dann ausreichend wäre, wenn diese Kopie apostilliert ist.

 

62 Trotz der vorstehenden Bedenken erachte das Gericht auch unter Berücksichtigung seines persönlichen Eindrucks vom Beteiligten zu 1) in der Vernehmungssituation die Aussage des Beteiligten zu 1), dass der Erblasser seine Krebserkrankung bzw. deren Ernsthaftigkeit offenbar nicht wahrhaben wollte, für glaubhaft. Der Beteiligte zu 1) hat ohne zu zögern angegeben, dass es sich hierbei um eine Vermutung von ihm handele. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum er in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt haben sollte. Immerhin spricht der Umstand, dass der Erblasser seine Krebserkrankung nicht wahrhaben wollte, im Ergebnis eher für das Vorliegen der Voraussetzungen von § 2079 Satz 2 BGB. Vor allem aber werden die Angaben des Beteiligten zu 1) bestätigt durch die Aussage des Zeugen K.. Dieser hat im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, der Erblasser hätte seine Krebserkrankung stets als (so wörtlich) „Kleinigkeit“ dargestellt.

 

63 (4) Ein Indiz dafür, dass der Erblasser davon ausgegangen ist, dass er seine Mutter überleben würde, ist auch das zur UR-Nr. 73/2018 beurkundete Schenkungsversprechen des Erblassers gegenüber dem Zeugen K.. Grundlage des Schenkungsversprechens ist, dass die Mutter des Erblassers vor dem Erblasser verstirbt, sodass der Erblasser E. seiner Mutter wird und ihm das Forstgut (vorbehaltlich eines erfolgreichen Ausgangs des Rückforderungsprozesses) zufällt.

 

64 (5) Weil der Erblasser davon ausgegangen ist, dass er seine Mutter überleben würde, bestand aus seiner Sicht auch keine Notwendigkeit, seine Lebensgefährtin bzw. deren Tochter im Rahmen des Erbvertrages in irgendeiner Weise zu berücksichtigen. Er hätte nach dem Tod seiner Mutter ohne weiteres neu testieren können.

 

65 (6) Eine Berücksichtigung der Lebensgefährtin im Erbvertrag hätte zudem weiteren Verhandlungsbedarf (und möglicherweise auch zusätzliches Konfliktpotenzial) nach sich gezogen. Der Erblasser hätte seiner Mutter gegenüber klar kommunizieren müssen, dass nach ihrem Tod ihr Vermögen „in den Busch gehe“, wie die Mutter des Erblassers ausweislich der Bekundungen des Zeugen D. zu sagen pflegte. Für eine Berücksichtigung der Lebensgefährtin des Erblassers im Erbvertrag gab es jedoch aus Sicht der Beteiligten keine Veranlassung. Sinn und Zweck des Erbvertrages war es nämlich nicht, eine umfassende Regelung zur Rechtsnachfolge von Todes wegen zu schaffen. Nach den übereinstimmenden Angaben beider Beteiligter (vergleiche das Anhörungsprotokoll vom 3. November 2020, Blatt 493 der Gerichtsakte) diente der Abschluss des Erbvertrags lediglich dazu, Vermögensverschiebungen seitens der Mutter des Erblassers aufgrund von Avancen Dritter zu verhindern. Konkret ging es hierbei - wie die Anhörung vom 20. April 2022 gezeigt hat - um den Zeugen K.. Ob der Zeuge K. tatsächlich unlautere Motive verfolgt hat, ist - wie die Anhörung vom 20. April 2022 ebenfalls gezeigt hat - zwischen dem Beteiligten zu 1) einerseits und dem Zeugen K. andererseits streitig. Sie bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, da es vorliegend nur um den Sinn und Zweck des Erbvertrags geht. Diesbezüglich hat auch der Zeuge K. bei seiner Vernehmung bekundet, der Beteiligten zu 1) habe mittels des Erbvertrages verhindern wollen, dass die Mutter des Erblassers jemandem in einem Testament etwas zukommen lässt.

 

66 cc) Eine Anfechtbarkeit des Erbvertrags deshalb, weil die Mutter des Erblassers bei ihrer Erbeinsetzung die adoptierte Tochter des Erblassers übergangen hat, scheidet aus. Nicht enterbt und damit auch nicht übergangen ist, wer als entfernterer Abkömmling nach der Auslegungsregel des § 2069 zum Zuge kommt (BeckOGK/Harke BGB § 2079 Rn. 10, beckonline; Staudinger/Otte (2019) BGB § 2079, Rn. 8). Nach dieser Vorschrift ist in dem Fall, dass der Erblasser einen seiner Abkömmlinge (hier Frau B. im Erbvertrag ihren Sohn, den Erblasser) bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments (bzw. des Erbvertrags) wegfällt, im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge (hier die adoptierte Tochter des Erblassers) an dessen Stelle treten. Ob der Erbvertrag tatsächlich im Sinne von § 2069 BGB auszulegen ist, kann dahinstehen. Sofern der Erbvertrag dahingehend zu verstehen wäre, dass die adoptierte Tochter des Erblassers nicht an die Stelle des Erblassers treten soll, würde dies bedeuten, dass Frau B. den vorliegenden Fall bedacht hätte. Dann wäre aber die Anfechtung nach § 2079 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da Frau B. den Erbvertrag gerade in Kenntnis der Sachlage abgeschlossen hätte.

 

67 d) Damit ist das vom Erblasser errichtete Testament nach § 2289 BGB unwirksam, ohne dass es auf die Frage der Testierfähigkeit des Erblassers bzw. auf die Frage der Formgültigkeit des Testaments ankommen würde. § 2289 BGB ist vorliegend anwendbar, da sich die Bindungswirkung des Erbvertrags wie ausgeführt nach deutschem Recht beurteilt. Nach § 2289 Abs. 1BGB ist eine spätere Verfügung von Todes wegen unwirksam, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde. Vorliegend beeinträchtigt das Testament das Recht der im Erbvertrag bedachten Mutter des Erblassers. Dies zum einen dadurch, dass im Testament nicht sie als Erbin eingesetzt wird, sondern die Ehefrau des Erblassers. Zudem werden ihre Rechte auch durch die im Testament angeordnete Testamentsvollstreckung beeinträchtigt, da nicht die Mutter über den Nachlass verfügungsbefugt ist (wie nach dem Erbvertrag), sondern die Testamentsvollstrecker.

 

68 e) Für die Anträge der Beteiligten ergeben sich folgende Konsequenzen:

 

69 Der Antrag des Beteiligten zu 1) hat keinen Erfolg. Der Beteiligte zu 1) ist schon nicht antragsbefugt. Zwar sind Testamentsvollstrecker grundsätzlich antragsberechtigt, da sie die Rechte der Erben kraft Aufgabenzuweisung wahrnehmen (Palandt-Weidlich § 2353 BGB Rn. 10). Im vorliegenden Fall ist die Testamentsvollstreckung aufgrund des Verstoßes gegen § 2289 Abs. 1 BGB nicht wirksam angeordnet. Ebenfalls wegen des Verstoßes gegen § 2289 Abs. 1 BGB ist T. nicht Alleinerbin des Erblassers geworden.

 

70 Der Antrag des Beteiligten zu 2) in der Fassung vom 23. Oktober 2020 hat vollumfänglich Erfolg, da die Mutter des Erblassers dessen Alleinerbin geworden ist.

 

71 Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang, dass die Erbbfolge von einem südafrikanischen Gericht eventuell anders beurteilt worden wäre, da es aufgrund seines internationalen Privatrechts südafrikanisches Recht zugrunde gelegt hätte. Wie ausgeführt ist nach der durch das Gericht anzuwendenden EuErbVO deutsches Recht anzuwenden.

 

III)

72 1) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81, 83 FamFG. Der Beteiligte zu 1) hat seinen Antrag teilweise zurückgenommen, indem er zuletzt statt eines unbeschränkten Erbscheins nur noch die Erteilung eines auf das in Deutschland befindliche Nachlassvermögen beschränkten Fremdrechtserbscheins begehrt hat. Im Interesse von T. und ihrer Tochter M. weist das Gericht in diesem Zusammenhang auf folgendes hin: Sofern durch die Beantragung eines unbeschränkten Erbscheins Mehrkosten entstanden sind, hat der Beteiligte zu 1) diese Mehrkosten jedenfalls im Wege des Schadensersatzes zu ersetzen. Er hätte erkennen können (und müssen), dass ein Antrag auf Erteilung eines unbeschränkten Erbscheins keinen Erfolg haben kann.

 

73 Die Gerichtskosten hat das Gericht beiden Beteiligten zu je 50% auferlegt, da beide (der Beteiligte zu 1) mit seinem ursprünglichen Erbscheinsantrag und der Beteiligte zu 2) mit seinem zuletzt gestellten Erbscheinsantrag) eine Erbscheinserteilung bezüglich des gesamten Nachlasses begehrt haben. Dementsprechend war auch der Geschäftswert auf den Wert des gesamten Nachlasses festzusetzen.

 

74 Die außergerichtlichen Kosten hat das Gericht allein dem Beteiligten zu 1) auferlegt. Dieser hat aufgrund seines erfolglosen Antrags seine eigenen Kosten selbst tragen. Ebenfalls hat er die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 2) deshalb zu tragen, weil er diese durch seinen unberechtigten Erbscheinsantrag veranlasst hat.

 

75 2) Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses war nach § 352e Abs. 2 S. 2 FamFG auszusetzen.

 

76 3) Bei der Festsetzung des Geschäftswerts ist das Gericht den Angaben des Beteiligten zu 1) aus dem Schriftsatz vom 30. September 2020 (dort Seite 4) gefolgt. Weitere Erkenntnismöglichkeiten hat das Gericht nicht.