OLG Hamm, Beschluss vom 2.1.2018 – I-10 W 35/17

 

Zentrale Normen: Artt. 3 Abs. 1 lit. g, 4, 21 EuErbVO

 

(Gewöhnlicher Aufenthalt)

 

Leitsatz des Verfassers:

Zur Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Anwendungsbereich der EuErbVO ist auf den tatsächlichen Lebensmittelpunkt abzustellen. Dies erfordert zumindest auch einen Aufenthalts- und Bleibewillen.

 

 

Aus den Gründen:

 

II. 

Die (…) zulässige Beschwerde der Bf. zu 1 und 2 ist begründet.

 

E ist am 9.7.2016 verstorben. Damit ist die am 17.8.2015 in Kraft getretene EuErbVO anzuwenden. Gemäß Art. 4 EuErbVO sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Entscheidung iSd Verordnung ist gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EuErbVO jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung, somit auch ein Erbschein, wie er vorliegend von den Ast. begehrt wird.

Der gewöhnliche Aufenthalt des E könnte im vorliegenden Fall entweder in Deutschland oder in Spanien gelegen haben. Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ iSd Art. 4 EuErbVO ist unter Heranziehung der Erwägungsgründe 23 und 24 zu bestimmen. Insoweit ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände vorzunehmen, auch unter Berücksichtigung von Dauer und Regelmäßigkeit von Besuchen, der besonders engen Bindung an einen Staat, der Sprachkenntnisse, der Lage des Vermögens (Thornin Palandt, BGB, 76. Aufl., Art. 21 EuErbVO). Daraus ergibt sich, dass in Bezug auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen ist, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (Zimmermann in Keidel, FamFG, 19. Aufl., § 343 Rn. 62, § 34 IntErbRVG Rn. 2 ff.). Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers ist neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element, nämlich ein Aufenthalts- bzw. Bleibewille, erforderlich. Andernfalls können Fragen eines erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden (Zimmermann § 343 FamFG Rn. 67). Vorliegend spricht eine weit überwiegende Gesamtheit von Umständen dafür, dass E seinen Lebensmittelpunkt im dargestellten Sinne noch in Deutschland hatte, obwohl er sich bis zu seinem Tod in Spanien aufgehalten hatte.

Der Senat stellt dabei vor allem auf die tatsächlichen Angaben in dem nur wenige Monate vor dem Tod des E verfassten Schriftsatz vom 1.2.2016 ab, der das Verfahren wegen vorzeitigem Zugewinnausgleich eingeleitet hat und die von E selbst stammen. In dem Schriftsatz ist als Anschrift des E zwar seine spanische Wohnadresse angegeben. Die Angabe ist aber zugleich mit der Einschränkung „derzeit“ versehen, woraus zu schließen ist, dass E selbst seinen Aufenthalt in Spanien nicht als endgültig, sondern nur als vorübergehend angesehen hat. Im Antrag ist im Einzelnen geschildert, dass E zwar in den 70er Jahren nach Spanien „ausgewandert“ war und auch dort eine Ehe geschlossen hat, aus der die Bf. hervorgegangen sind. Nach Scheidung dieser Ehe ist er jedoch nach Deutschland zurückgekehrt und hat mit seiner dritten Ehefrau eine gemeinsame Ehewohnung in V. erworben. Der Senat verkennt nicht, dass sich E im Zuge der Trennung von seiner dritten Ehefrau im Jahr 2015 in Spanien aufgehalten hat. Das war naheliegend, da er die gemeinsame Ehewohnung in V. verlassen hatte und eine eigene Wohnung, die ihm in Spanien zur Verfügung stand, nehmen wollte. Dennoch hat E sich nicht in V. abgemeldet. Auch hat er der Post keinen Nachsendeauftrag erteilt (…). Das spricht ebenfalls dafür, dass E seinen Lebensmittelpunkt nicht nach Spanien verlagert hatte. Auch hat er sich nicht in Spanien behandeln lassen, sondern von deutschen Ärzten und in hiesigen Krankenhäusern. Dies ist jedenfalls durch den an den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. … in V. adressierten Krankenbericht des Klinikums in H. belegt. Wie aus dem Antrag des E vom 1.2.2016 eindeutig hervorgeht, wollte er im Juni 2015 nicht dauerhaft in Spanien bleiben, sondern von dort wieder abgeholt werden. Nur weil ihn vorübergehend niemand nach Deutschland zurückfahren wollte, ist er notgedrungen solange in Spanien geblieben, bis er sich von seiner Tochter nach Deutschland bringen lassen konnte. Nach einer kurzfristigen Rückkehr in die eheliche Wohnung in V. hat er sodann Kontakt zu seiner Schwester in … aufgenommen. Dass er im weiteren zeitlichen Verlauf nach Spanien zurückgekehrt und dort letztlich verstorben ist, kann nach alledem nicht dahingehend gewertet werden, dass er wieder endgültig nach Spanien umsiedeln wollte. Ob sich möglicherweise aus dem handschriftlichen Testament des E vom 15.12.2015, das in deutscher Sprache verfasst ist, eine konkludente Rechtswahl iSd Art. 22 EuErbVO zugunsten des deutschen Erbrechts ergeben könnte, braucht deshalb angesichts dessen, dass die Ast. zu 3 die internationale Zuständigkeit des angerufenen AG ausdrücklich nicht anerkennt (vgl. Art. 7 Buchstabe c) EuErbVO), nicht entschieden zu werden.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.