OLG München Beschluss vom 9.2.2023 – 33 UH 4/23e- (Gewöhnlicher Aufenthaltsort einer nicht geschäftsfähigen Person)

 

Zentrale Normen: FamFG §§ 5, 343; EuErbVO Art. 21

 

Leitsatz:

  1. Befand sich der Erblasser bis zu seinem Tod mehr als zehn Jahre in einem Pflegeheim am selben Ort, hatte er an diesem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt.

 

  1. Das gilt auch dann, wenn er während der gesamten Zeit wegen einer geistigen Erkrankung unter Betreuung stand und der Betreuer auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausgeübt hat.

 

Sachverhalt:

Die Erblasserin ist 2022 in einem Pflegeheim in S verstorben. In diesem Pflegeheim wohnte die Erblasserin seit dem Jahre 2011. Für die Erblasserin war mit Beschluss des AG Günzburg 1974 wegen geistiger Gebrechen ein Betreuer bestellt worden, dessen Aufgabenbereich die Vermögenssorge, die Gesundheitsfürsorge und die Aufenthaltsbestimmung umfasste. Seit dieser Zeit lebte die Erblasserin in verschiedenen Heimen, der Umzug in das Pflegeheim nach S erfolgte, nachdem das Fachpflegeheim in Oy-M, in dem die Erblasserin bis dato gewohnt hatte, abgebrannt war. Die Betreuung dauerte bis zum Tod der Erblasserin an. Nach dem Tod der Erblasserin erklärte sich das AG Sonthofen – NachlassG – mit Beschluss vom 5.9.2022 für örtlich unzuständig. Es stellte darauf ab, dass die Erblasserin letztmalig geschäftsfähig war, als sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in A gehabt habe, das zum Bezirk des AG Günzburg gehört.

Mit Beschluss vom 23.1.2023 (VI 1306/22) erklärte sich auch das AG Günzburg – NachlassG – für örtlich unzuständig und legte die Akten dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Als zuständig wurde das AG Sonthofen bestimmt.

 

Aus den Gründen:

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II.

  1. Der Senat ist nach § 5INr. 4 FamFG für die Zuständigkeitsbestimmung zuständig, nachdem sich zwei Nachlassgerichte im Bezirk des OLG München durch Beschluss für örtlich unzuständig erklärt haben.

 

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  1. Als zuständiges Gericht war das AG Sonthofen zu bestimmen, da die Erblasserin hier ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, § 343IFamFG.

 

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  1. a) Unter dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in der Zeit vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (OLG München ZEV 2017, 333; OLG Celle ZEV 2020, 229). Auch in Alten- und Pflegeheimen kann grundsätzlich ein Aufenthalt begründet werden (OLG Düsseldorf FGPrax 2016, 240), wenn der Erblasser im Zeitpunkt des Einzugs fähig war, einen eigenen Bleibewillen zu bilden (Burandt/Rojahn/Gierl, 4. Aufl. 2022, FamFG § 343 Rn. 11; Krätzschel/Falkner/Döbereiner NachlassR/Krätzschel, 12. Aufl. 2022, § 37 Rn. 3).

 

9 Welche Anforderung für Begründung des (gewöhnlichen) Aufenthalts im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit des Erblassers zu stellen sind, ist im Einzelnen umstritten und nicht abschließend geklärt (OLG München ZEV 2017, 333: keine Geschäftsfähigkeit, aber Fähigkeit zur eigenen Willensbildung; OLG Celle ZEV 2020, 229: keine Notwendigkeit, die Geschäftsfähigkeit des Erblassers zu ermitteln; zum Meinungsstand: MüKoFamFG/Grziwotz, 3. Aufl. 2019, FamFG § 343 Rn. Rn. 19).