OLG Rostock, Beschluss vom 25.08.2020 – 3 W 94/19

 

Zentrale Normen: BGB §§ 2269 ff.

(Beschränkung der Wechselbezüglichkeit eines Testaments auf die Lebzeit der Testierenden)

 

Leitsatz:

Da es den Ehegatten freisteht zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, sind sie auch als befugt anzusehen, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über dem im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern bzw. zu beschränken oder auszuschließen und dem Überlebenden sogar ein freies Widerrufsrecht einzuräumen.

 

Aus den Gründen:

11 Die nach §§ 58, 63 FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1.
12 Bei dem notariellen Testament der Eheleute B. vom 03.11.2009 handelt es sich um ein gemeinschaftliches Ehegattentestament im Sinne des § 2269 BGB, durch das die Ehegatten sich zunächst gegenseitig zu Erben eingesetzt und die Beteiligten zu 1) bis 5) nach dem Tode des Letztversterbenden zu Schlusserben berufen haben.
13 Nach § 2271 Abs. 2 BGB erlischt das Recht des Ehegatten zum Widerruf der in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen wechselbezüglichen Verfügung mit dem Tode des anderen Ehegatten. Der überlebende Ehegatte ist damit an eine wechselbezügliche Verfügung gebunden und an einer beeinträchtigenden anderweitigen letztwilligen Verfügung gehindert (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss v. 07.11.1994 – 15 W 288/94 –, zit. n. juris, Rn. 33).
14 Wechselbezüglich sind nach § 2270 Abs. 1 BGB dabei diejenigen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament getroffenen Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, also jeder Ehegatte seine Verfügungen gerade deshalb getroffen hat, weil auch der andere Ehegatte eine bestimmte Verfügung getroffen hat und jede Verfügung nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden mit der anderen stehen oder fallen soll (vgl. hierzu, OLG Brandenburg, Urteil v. 12.05.1999 – 10 U 35/97 –, zit. n. juris, Rn. 59 m.w.N.; OLG Hamm, a.a.O.). Die Wechselbezüglichkeit muss dabei für jede einzelne Verfügung des Testaments gesondert geprüft werden, wobei der Wille der gemeinschaftlich testierenden Ehegatten durch Auslegung zu ermitteln ist (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 34). Maßgeblich ist dabei der Wille zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments.
15 Ob vorliegend eine Wechselbezüglichkeit vorliegt – wovon der Senat bei der gegenseitigen Einsetzung der Eheleute als jeweilige Alleinerben sowie der Bestimmung der Beteiligten zu 1) bis 5) als jeweilige Schlusserben ausgeht – kann letztlich dahingestellt bleiben, denn beanstandungsfrei ist das Amtsgericht – Nachlassgericht – in diesem Zusammenhang zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die im gemeinschaftlichen Testament vereinbarte Wechselbezüglichkeit letztlich nur auf die Lebzeiten beider Eheleute beschränken sollte.
16 Da es den Ehegatten freisteht zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, sind sie auch als befugt anzusehen, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über dem im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern bzw. zu beschränken oder auszuschließen und dem Überlebenden sogar ein freies Widerrufsrecht einzuräumen (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2271, Rn. 20; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 40 m. w. N.; OLG Bremen, Beschluss v. 30.08.2017 – 5 W 27/16 –, zit. n. juris, Rn. 11; vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 18.08.2011 – 11 Wx 46/10 –, zit. n. juris, Rn. 35).
17 Das dies vorliegend erfolgt ist, ergibt sich aus der gebotenen Auslegung der Abänderungsklausel in § 5 des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute.
18 Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (vgl. BGH, Urteil v. 07.10.1992 – IV ZR 160/91 –, zit. n. juris, Rn. 10). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084, Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist dabei der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (vgl. BGH, a. a.O. Rn. 10 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084, Rn. 2, m.w.N.), jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung – wenn auch nur andeutungsweise – Anhaltspunkte finden lassen (vgl. hierzu: OLG Frankfurt, Beschluss v. 18.05.2020 – 21 W 165/19 –, zit. n. juris, Rn. 27).
19 Den vorstehenden Grundsätzen folgend, ergibt sich eine Abänderungsbefugnis des Längstlebenden, die auch die (bisherige) Einsetzung der beiden Kinder des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin (den Beteiligten zu 4) und 5)) zu Gunsten deren eigener Kinder (den Beteiligten zu 1) bis 3)) erfasste. Die Befugnis auch die Einsetzung der Schlusserben abzuändern folgt nämlich daraus, dass der Schlusserbe nur den Überlebenden beerbt und dieser durch die (vorangegangene) Änderung nur über seinen eigenen Nachlass verfügt (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2271, Rn. 20; Reinmann/Mayer/Sammet, Testament und Erbvertrag, 7. Aufl., § 2271, Rn. 79; BayObLGZ 1987, 23 (28)).
20 Der Wortlaut der Teilklausel ist nach Auffassung des Senats dabei eindeutig. In dem gemeinschaftlichen Testament heißt es insoweit:
„… Er ist darüber hinaus auch berechtigt, letztwillig anderweitig über den beiderseitigen Nachlass zu verfügen
21 Es geht danach vorliegend dementsprechend nicht nur darum, dass der Überlebende berechtigt sein soll, über das beiderseitige Vermögen nach Vorversterben des Ehepartners zu Lebzeiten frei zu verfügen – dies ist in der Klausel zuvor gesondert geregelt worden – sondern, dass der Überlebende testamentarisch berechtigt sein soll, grundsätzlich (völlig) anderweitige Verfügungen über den beiderseitigen Nachlass zu treffen. Dies wäre nicht möglich, wenn weiterhin eine Schlusserbenschaft der Beteiligten zu 1) bis 5) bestanden hätte. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei nicht um ein sogenanntes gemeinschaftliches Laientestament gehandelt hat, sondern dass dieses von der Notarin F. aufgesetzt worden ist, so dass bereits unterstellt werden kann, dass diese Klausel in Kenntnis ihrer Bedeutung aufgenommen worden ist. Richtigerweise hat das Amtsgericht indes ergänzend eine schriftliche Stellungnahme der seinerzeit das gemeinschaftliche Testament beurkundeendten Notarin angefordert. Diese hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 25.04.2019 dargelegt, dass die Eheleute seinerzeit hinsichtlich ihrer Verfügungen nach dem ersten Erbfall nicht gebunden sein und sich auch nach dem Tod des Erstversterbenden freie Hand hätten lassen wollen. Der mutmaßliche Wille der Eheleute sei gewesen, dass im Rahmen der Freistellung auch die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen entfallen sollte. Der Überlebende habe uneingeschränkt sowohl über den Nachlass des Zuerstversterbenden als auch über sein eigenes Vermögen verfügen sollen.
22 Die Beteiligte zu 4) hat auch keine Umstände vorgetragen, die dem entgegenstehen könnten. Sie hat zwar behauptet, dass es nicht dem Willen ihres vorverstorbenen Vaters entsprochen habe, dass die Erblasserin berechtigt gewesen sein soll, von der im gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügung über die Einsetzung der Beteiligten zu 1) bis 5) als Schlusserben des Überlebenden abzuweichen. Konkrete Ausführungen, wie sie hierauf kommt, sind indes unterblieben.
23 Indem die Erblasserin in ihrem handschriftlichen Testament das vorherige gemeinschaftliche Testament der Eheleute als ungültig bezeichnet hat, hat sie dieses widerrufen. Der Verwendung der Begrifflichkeit „Widerruf“ bedurfte es insoweit nicht. Der Widerruf kann sich bereits aus einer späteren Erbeinsetzung unter Weglassung zunächst berufener Schlusserben ergeben. Der Widerruf bedurfte dabei nicht der notariellen Form des § 2271 Abs. 1 BGB. Es reichte insoweit das handschriftliche Testament der Erblasserin aus (vgl. hierzu: Reimann/Mayer/Sammet, Testament und Erbvertrag, 7. Aufl., § 2271, Rn. 84).
24 Durch den Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments durch die Erblasserin in ihrem handschriftlichen Testament haben die wechselseitigen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments damit ihre Wirksamkeit verloren. Maßgeblich sind deshalb insoweit allein die Verfügungen der Erblasserin in ihrem handschriftlichen Testament vom 19.02.2014. An der Wirksamkeit jenes Testaments hat der Senat dabei keine Bedenken.