Welche Pflichtteilsvermeidungsstrategien gibt es im internationalen Erbrecht?

Viele gerade vermögende Erblasser wünschen sich frei entscheiden zu können, was nach deren Tod mit dem Vermögen passiert. Möchte man jedoch seine Angehörigen enterben, stellt das Pflichtteilsrecht in Deutschland und in den meisten anderen Ländern eine erhebliche Einschränkung dar. Dieses stellt für viele Erblasser ein unbefriedigendes Ergebnis dar. Häufig wird sich daher gefragt, welche Strategien es in Fällen mit Auslandsberührung gibt, um Pflichtteilsansprüche zu umgehen oder zu reduzieren.

1. Soll ich mein Vermögen ins Ausland schaffen?

Früher galt der Erwerb von Immobilien in Ländern, die kein Pflichtteilsrecht kennen, als häufig empfohlene Pflichtteilsvermeidungsstrategie. Dadurch konnte eine Spaltung des Nachlasses nach Artikel 3a Absatz 2 EGBGB a.F. erreicht werden, bei der im Hinblick auf das Auslandsvermögen das Belegenheitsrecht anzuwenden war. So gelangte man dazu, dass das Auslandsvermögen nicht in die Berechnung des Pflichtteils eingeflossen ist.

Mit der Einführung der EuErbVO führt eine Verlagerung des Vermögens ins Ausland nicht mehr zu einer Pflichtteilsreduzierung. Seit 2015 ist für das gesamte Vermögen das Recht des Staates anwendbar, in dem der Erblasser entweder seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hat oder dessen Recht er gewählt hat.

Nach dem heutigen Recht kann es lediglich zu einer Pflichtteilsreduzierung kommen, wenn das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts oder das gewählte Recht eine solche Nachlassspaltung vorsieht. Ein Beispiel dafür wäre, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in England hatte und er Immobilien in Florida besitzt. Nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ist englisches Recht anwendbar (Artikel 21 Absatz 1 EuErbVO), welches nach Artikel 34 Absatz 1 EuErbVO in Bezug auf die Immobilien in Florida auf das dort anwendbare Recht weiterverweist, da das englische Kollisionsrecht das Belegenheitsrecht des unbeweglichen Vermögens für maßgeblich hält.

Eine Verlagerung des Vermögens kann daher nach heutigem Recht nur in seltenen Fällen zu einer Pflichtteilsminimierung führen.

2. Kann ich durch einen Umzug den Pflichtteil umgehen?

Nicht jedes Land kennt ein Pflichtteils- oder Noterbrecht, z.B.:

  • England
  • Wales
  • Schottland
  • Nordirland
  • Irland
  • Australien
  • USA, z.B. Florida und andere Bundesstaaten wie Kalifornien, kennt nur eine Pflichtteilsberechtigung für minderjährige und behinderte Kinder und den Ehegatten, die auf Antrag ein Wohnungsrecht und Unterhalt erhalten.
  • Kanada, z.B. Ontario und andere Bundesstaaten
  • Südafrika
  • Schweden kennt keinen Pflichtteil für Ehegatten
  • Finnland kennt keinen Pflichtteil für Ehegatten
  • Polen kennt nur eine Pflichtteilsberechtigung von Arbeitsunfähigen und Minderjährigen
  • Volksrepublik China

 

Ein Umzug in eins dieser Länder erscheint als eine geeignete Möglichkeit, um dem Pflichtteilsrecht zu entkommen. Zunächst ist hierbei jedoch zu beachten, dass es nicht ausreicht, einfach seinen Wohnsitz zu verlegen. Vielmehr hat der Gesetzgeber hohe Hürden an ein sog. „Pflichtteilshopping“ gesetzt, um so ein Verhalten zu vermeiden. So muss ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Artikel 21 Absatz 1 EuErbVO in dem entsprechenden Staat begründet werden. Hierzu ist es erforderlich, dass der Erblasser seinen gesamten Lebensmittelpunkt verlagert und dauerhaft in dem entsprechenden Land bleiben will. Zudem soll er dort soziale Bindungen aufbauen, über hinreichende Sprachkenntnisse des Landes und dort auch einen Großteil seiner Vermögenswerte hin verlagern.

Solange nicht ohnehin der Wunsch bestand, seinen Lebensabend in einem anderen Land zu verbringen, erscheint ein Umzug zwecks der Pflichtteilsvermeidung als unverhältnismäßig und unrealistisch.

Zudem birgt dieses Vorgehen die Gefahr, dass deutsche Gerichte einen Umzug als einen Verstoß gegen den ordre public (Artikel 35 EuErbVO) sehen. Dieses bedeutet, dass aus Sicht der deutschen Rechtsprechungen eine Umgehung des Pflichtteilsrechts gegen die deutsche Rechtsordnung verstoßen kann. Hieraus resultiert, dass hierdurch möglicherweise ein Pflichtteilsrecht durchgesetzt werden kann. Allerdings ist ein Verstoß gegen die deutsche Rechtsordnung zu verneinen, wenn der Erblasser tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt in den entsprechenden Staat verlegt hat.

Ist der Erblasser jedoch fest entschlossen, aus welchen Gründen auch immer, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ein sog. „Pflichtteilsparadies“ zu verlegen, ist jedoch zu beachten, dass viele Staaten, die kein Pflichtteils- oder Noterbrecht kennen, andere Hürden bei Erbschaften setzen. So sind häufig die Erbschaftsteuersätze in Ländern ohne Pflichtteil wesentlich höher.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein Umzug durchaus eine Möglichkeit darstellen kann, dem Pflichtteil zu entgehen, jedoch ist angesichts der hohen Hürden von einem leichtsinnigen Umzug in ein „Pflichtteilsparadies“ abzuraten.

3. Was kann ich sonst noch unternehmen, um dem Pflichtteil zu entgehen?

Bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts ist grundsätzlich an frühzeitige Schenkungen zu denken. Hierbei ist zu beachten, dass gemäß § 2325 Absatz 1 BGB ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen geltend gemacht werden kann. Die Schenkung wird nach § 2325 Absatz 3 BGB innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger bei dem Pflichtteilsergänzungsanspruch berücksichtigt. Nach zehn Jahren bleibt die Schenkung gänzlich unberücksichtigt. Weswegen es bei Anwendbarkeit des deutschen Rechts zu empfehlen ist, frühzeitig sein Vermögen auf andere zu übertragen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Nichtberücksichtigung frühzeitiger Schenkungen nicht für Ehegatten gilt.

Eine weitere Methode, um Pflichtteilsansprüche zu schmälern oder gänzlich zu verhindern, stellt eine bewusst komplexe Gestaltung des Nachlasses dar. So kann die Erstellung von komplizierten Spaltnachlässen eine abschreckende Wirkung für potenzielle Pflichtteilsauseinandersetzungen haben. Spaltnachlässe kann der Erblasser erzielen, indem er sein Vermögen beispielsweise in Stiftungen, Gesellschaften und Immobilien in Länder verteilt, die noch eine Nachlassspaltung kennen.

4. Kann ich mit meinen Familienangehörigen einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht vereinbaren?

Grundsätzlich stellt ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht eine der besten Methoden dar, um ungewollte Pflichtteilsansprüche zu vermeiden. Zu beachten ist hierbei, dass ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht grundsätzlich die Beteiligung und das Einverständnis der Pflichtteilsberechtigten voraussetzt.

Ob ein solcher Verzichtsvertrag vereinbart werden kann, wird in den verschiedenen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich gewertet. Während Verzichtsverträge im deutschen Recht und auch in vielen anderen europäischen Ländern ein wichtiges Instrumentarium zur Gestaltung des Nachlassvermögens darstellt, sehen andere Rechtsordnungen die Notwendigkeit der Versorgung der Verwandten als so wichtig, dass ein entsprechender Vertrag unzulässig ist. Zu diesen Rechtsordnungen zählen unter anderem Länder, wie:

 

  • Belgien: Nur gegenständlich beschränkter Verzicht bei Schenkungen zu Lebzeiten an direkten Erben (Art. 918 CC) und bei einverständlicher Scheidung (Art. 1287 Abs. 2 ZPO)
  • Griechenland: Art. 368 ZGB mit Ausnahmen
  • Luxemburg: Art. 1130 Abs.2 CC
  • Niederlande: Art. 4:4 Abs. 2 BW
  • Portugal: Art. 2170 CC
  • Spanien: Art. 816 CC
  • Litauen: Mangels gesetzlicher Regelung unzulässig

 

Sieht das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers keine Möglichkeit des Pflichtteilsverzichts vor, kann nach dem Recht der Staatsangehörigkeit das Erbrecht gewählt werden, welches eine solche Möglichkeit vorsieht.