Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers

Bei grenzüberschreitenden Erbfällen stellt sich für gewöhnlich die Frage, welches inländische Recht maßgeblich für die Beurteilung des Sachverhalts ist. Die europäische Erbverordnung (EuErbVO) knüpft hierbei an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers an (Artikel 4 EuErbVO).

 

Allgemeine Vorgehensweise

Die EuErbVO definiert den gewöhnlichen Aufenthalt nicht ausdrücklich. Sie gibt, jedoch in seinen Erwägungsgründen Kriterien für die Auslegung des Begriffs vor.

Grundsätzlich wird die mit der Erbsache beschäftigte Behörde oder das Gericht für die Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vornehmen. Ziel dieser Beurteilung ist es, herauszufinden, zu welchem Staat der Erblasser eine engere Verbindung hatte. In der Praxis fällt der Sterbeort des Erblassers und der gewöhnliche Aufenthalt meist zusammen, weswegen die Gerichte erst Ermittlungen aufnehmen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für einen abweichenden gewöhnlichen Aufenthalt gibt.

 

Äußere Kriterien

Als Kriterien für diese Beurteilung zählen grundsätzlich die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Genauer wird überprüft, in welchem Staat der Daseinsmittelpunkt des Erblassers begründet wurde.

Zum einen werden hierfür die familiären Beziehungen des Erblassers herangezogen. So kann die Lokalisierung der restlichen Familie, mit denen der Erblasser bis zu seinen Tod Kontakt pflegt, für einen dortigen gewöhnlichen Aufenthalt sprechen.

Zudem werden auch weitere soziale Beziehung in die Ermittlungen aufgenommen. Für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts können beispielsweise der Ort sprechen, an dem sich die Ehe- oder Lebenspartner befinden. Auch maßgeblich können die Freunde des Erblassers oder Vereinsmitgliedschaften sein.

Weiterhin sind auch die beruflichen Beziehungen des Erblassers zu berücksichtigen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es für einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht ausreicht, wenn der Erblasser aus beruflichen Gründen temporär ins Ausland ziehen muss oder er häufig pendeln musste.

Weitere hilfreiche Kriterien können die Lage des Vermögens sein (insbesondere ist hier auf die Lage von Immobilien, Konten und sonstigen Wertgegenständen des Erblassers einzugehen), sowie die Sprachkenntnisse und Staatsangehörigkeit des Erblassers.

 

Wille des Erblassers

Neben den äußeren Feststellbaren Kriterien, kann auch der Bleibewille des Erblassers für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts von Bedeutung sein. Jedoch ist bei diesem Kriterium Vorsicht geboten, da es in der Praxis meist äußerst schwierig ist, den Willen festzustellen, gerade, wenn der Erblasser verstorben ist.

Hilfreich kann dieses Kriterium jedoch bei der Frage sein, ob ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt sofort bzw. bei einem kurzen Auslandsaufenthalt vor dem Tod des Erblassers begründet werden kann. Grundsätzlich reicht ein kurzer Auslandsaufenthalt für die Bejahung des gewöhnlichen Aufenthalts aus, wenn ein Bleibewille nachgewiesen werden kann. Zu verneinen ist der gewöhnliche Aufenthalt, wenn der Erblasser gegen oder ohne Willen den Aufenthalt gewechselt hat. Dieses ist beispielweise der Fall bei einem dauerhaften Krankenhausaufenthalt eines Geschäftsunfähigen im Ausland oder bei Soldaten im Auslandseinsatz.

 

Gesetzliche Ausweichmöglichkeit

Wenn sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass Erblasser eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte,  in dem der Erblasser nach den obigen Kriterien seinen gewöhnlicher Aufenthalt hatte , kann auch das Recht dieses anderen Staates anzuwenden sein (Artikel 21 Absatz 2 EuErbVO). Diese Ausnahme ist jedoch nur in äußerst selten Fällen anzunehmen, wenn beispielsweise der Erblasser kurz vor seinem Tod ins Ausland gezogen ist und eine offensichtlich engere Verbindung zu dem Ursprungsland hat. Zudem ist auf diese Ausnahme nicht auszuweichen, wenn bloße Zweifel am gewöhnlichen Aufenthalt bestehen.

 

In der Praxis häufige Problemfälle:

 

1. Pflegebedürftige Personen

Häufig führt die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts von pflegebedürftigen Personen zu Problemen, gerade, wenn sie aufgrund geistiger Beeinträchtigungen nicht fähig sind, selbständige Entscheidungen zu treffen. Maßgeblich ist  in erster Linie die physische Präsenz des Erblassers (besonders der Ort des Pflegeheims oder des Hospizes). Zusätzlich ist auch hier der Aufenthaltswille des Erblassers maßgeblich. Wenn dieser nicht mehr gebildet werden kann (wie beispielsweise bei Demenzkranken), ist fraglich, ob der Wille des gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreters entscheidend ist. Teilweise wird vertreten, dass der Erblasser die Möglichkeit haben muss, einen Bleibewillen zu bilden und zumindest die Möglichkeit haben soll, sich sozial zu integrieren.

In der Rechtsprechung liegt die Kernproblematik in der Frage, ob eben eine Geschäftsfähigkeit vorausgesetzt wird oder nicht. Hierzu führte das OLG München in seinem Beschluss vom 22.3.2017 – 31 AR 47/17 an, dass grundsätzlich auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der letztmalig vorhandenen Geschäftsfähigkeit des Erblassers abzustellen ist (Randnummer 5 des Urteils). Anders sieht es das OLG Celle in seinem Beschluss vom 12.9.2019 – 6 AR 1/19. Demnach ist die Geschäftsfähigkeit des Erblassers für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht relevant (Randnummer 6 des Urteils).

 

      2. Rentner im Ausland (sog. Mallorca-Rentner)

Nicht selten ziehen ältere Menschen, die ihr Leben lang in einem Land gelebt und zu diesem Land noch eine enge Verbindung haben, für eine gewisse Zeit in ein anderes Land.

Hier kommt es besonders auf eine sorgfältige Untersuchung der oben genannten äußeren Kriterien an. Denn es kann ausnahmsweise auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Land, aus dem der Erblasser verzogen ist, festgestellt werden, wenn noch eine besonders enge Verbindung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2 EuErbVO in den Jahren vor dem Tod und im Zeitpunkt des Todes bestand. Eine solche engere Verbindung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Erblasser mit dem Land sozial, kulturell, sprachlich und wirtschaftlich wesentlich enger verbunden ist.