Zuständigkeiten nach der EuErbVO

 

Für Erbfälle ab dem 17. August 2015 gilt die europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO). Die Verordnung soll eine verbesserte Abwicklung von Erbfällen mit Auslandsbezug in der Europäischen Union ermöglichen. Sie gilt für alle Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien.

 

Zuständigkeit ohne Rechtswahl

 

Nach Artikel 4 EuErbVO sind die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Begriff des Gerichts darf nicht zu eng verstanden werden; er umfasst auch alle sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen die in den jeweiligen Mitgliedsstaaten für Erbsachen zuständig sind, Artikel 3 Absatz 2 EuErbVO. Dieses Verständnis wird daher bei der folgenden Verwendung des Begriffs „Gericht“ vorausgesetzt.

 

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht genau definiert. Daher müssen Rechtsprechung und Literatur den Begriff interpretieren. Unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 23 und 24 EuErbVO kommt es entscheidend auf den tatsächlichen Lebensmittelpunkt der betroffenen Person an, der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln ist.

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts erfordert eine gewisse physische Präsenz an einem Ort. Kriterien wie die soziale und kulturelle Integration können ergänzend herangezogen werden, wenn eine genaue Zuordnung zu einem Staat nicht durchgeführt werden kann. Sie sind jedoch keine zwingenden Kriterien.

Unstreitig wird darüber hinaus ein Aufenthaltswille gefordert. Der Erblasser muss sich bewusst und willentlich an einem Ort aufhalten. Eine Verbringung gegen den Willen einer Person kann seinen gewöhnlichen Aufenthalt grundsätzlich nicht verändern.

Mit dem Aufenthaltswillen sollte jedoch nicht die rechtsgeschäftliche Geschäftsfähigkeit gemeint sein. In einer Entscheidung hat das OLG München gefordert, dass der Erblasser im Rechtsverkehr geschäftsfähig sein muss. In praktischer Konsequenz hieße dies, dass der geschäftsunfähige Erblasser keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann. So könnte etwa ein minderjähriger Erblasser keinen eigenen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. In einer Entscheidung des EuGH zur Brüssel IIa-Verordnung argumentierte das Gericht aber, sogar ein Säugling könne - vertreten durch seine Mutter - seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat verlegen. Zu betonen ist zwar, dass die Entscheidung zu einer anderen Verordnung erging, im europäischen Recht gilt aber das Gebot der Einheitlichkeit und der effektiven Durchsetzung der Rechtsordnung. Daher kann davon ausgegangen werden, dass ein Begriff nicht in verschiedenen Verordnungen völlig anders interpretiert wird. 

 

Damit knüpft die EuErbVO die Zuständigkeit der Gerichte nicht an die Staatsangehörigkeit oder das Heimatrecht des Erblassers, sondern an den gewöhnlichen Aufenthalt. Das Ziel war es, einen Gleichlauf zwischen Gerichtsstand und anwendbarem Recht zu gewährleisten. Dieser Gleichlauf wird aber bei der subsidiären Zuständigkeit nach Artikel 10 Absatz 2 EuErbVO durchbrochen. Ist demnach der gewöhnliche Aufenthalt in einem Drittstaat, sind die Gerichte eines Mitgliedsstaates dennoch zuständig, wenn sich in diesem Staat Nachlassgegenstände befinden. Die Zuständigkeit beschränkt sich aber auf diese Nachlassgegenstände.

 

Zuständigkeit bei Rechtswahl

 

Hat der Erblasser eine Rechtswahl (Artikel 22 EuErbVO) getroffen, hat dies auch Auswirkungen auf die Zuständigkeit der Gerichte. Grundsätzlich gilt zwar dennoch gemäß Art. 4 EuErbVO, dass die Gerichte des Staates zuständig sind, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Hat der Erblasser aber wirksam nach Art. 22 EuErbVO das Recht eines anderen Mitgliedstaates gewählt, so können sich die Gerichte des Staates, die eigentlich nach Art. 4 EuErbVO zuständig wären, auf Antrag für unzuständig erklären (Art. 6 EuErbVO). Voraussetzung hierfür ist, dass das angerufene Gericht der Auffassung ist, dass die Gerichte des Staates des gewählten Rechts die Erbsache besser entscheiden können, z.B. weil ein Großteil des Vermögens (Immobilien, Konten etc.) dort belegen sind. 

Wenn dies geschehen ist, sich also die eigentlich nach Art. 4 EuErbVO zuständigen Gerichte für unzuständig erklärt haben, sind gemäß Art. 7 Alt. a) EuErbVO die Gerichte des Staates zuständig, dessen Recht der Erblasser gewählt hat

Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates des vom Erblasser gewählten Rechts kann sich auch dadurch ergeben, dass die Verfahrensparteien die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates nach Art 5 EuErbVO vereinbart haben (Art. 7 Alt. b) EuErbVO oder alle Verfahrensparteien die Zuständigkeit anerkannt haben (Art. 7 Alt c) EuErbVO). 

Die Verfahrensparteien werden in Erwägungsgrund 28 EuErbVO umrissen. Danach sind die Verfahrensbeteiligten nicht sämtliche von dem Nachlass betroffenen Parteien. Es handelt sich vielmehr um die Personen, deren Rechte durch die Entscheidung des Gerichts betreffend die spezifische Frage(n), die den Gegenstand des jeweiligen Verfahrens bildet bzw. bilden, berührt werden. Das heißt, der Kreis der Beteiligten hängt davon ab, worüber das Gericht entscheiden soll. Es ist demnach nicht immer der gleiche Personenkreis, sondern er muss im Einzelfall bestimmt werden. Haben einzelne Verfahrensparteien an der Anerkennung des Gerichts oder der Gerichtsstandsvereinbarung nicht mitgewirkt, so gilt Art. 9 EuErbVO.

Wurden Gerichte in mehreren Mitgliedsstaaten in derselben Sache angerufen, setzen die später angerufenen Gerichte das Verfahren solange aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichtes geklärt ist, Artikel 17 Absatz 1 EuErbVO. Steht die Zuständigkeit eines früher angerufenen Gerichtes fest, erklären sich alle später angerufenen Gerichte für unzuständig, Absatz 2.

 

Zuständigkeiten für die Entgegennahme von Annahme- und Ausschlagungserklärungen

 

Ist nach dem anwendbaren Recht eine Annahme der Erbschaft erforderlich oder will der Erbe ausschlagen, stellt sich die Frage, ob er dies auch in seinem Heimatland tun kann. Nur für die Entgegennahme der Annahme oder Ausschlagung sind gemäß Artikel 13 EuErbVO auch die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in denen die erklärende Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies kommt diesen Personen stark entgegen. Im Erwägungsgrund 32 der Verordnung heißt es dazu:

„Im Interesse der Erben und Vermächtnisnehmer, die ih­ren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Mitgliedstaat haben, in dem der Nachlass abgewickelt wird oder werden soll, sollte diese Verordnung es jeder Person, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht dazu berechtigt ist, ermög­lichen, Erklärungen über die Annahme oder Ausschla­gung einer Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder zur Begrenzung ihrer Haftung für Nach­lassverbindlichkeiten vor den Gerichten des Mitgliedstaats ihres gewöhnlichen Aufenthalts in der Form abzugeben, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehen ist. (..)“

Dabei prüft das entgegennehmende Gericht allein seine Zuständigkeit und die Form der Erklärung. Ob es einer solchen Erklärung bedarf, ist dagegen nicht Teil des Prüfungsumfangs des Gerichts.

Weiterhin wird darüber gestritten, ob eine nach Artikel 13 EuErbVO abgegebene Erklärung eine Erklärung im Ausland ersetzen (substituieren) kann. Dies würde bedeuten, die Erklärung wirke unmittelbar nach Abgabe bereits in dem anderen Staat. Unter anderem das OLG Düsseldorf hat dies in seiner Entscheidung vom 26.10.2018 bejaht. Dagegen wendet sich eine Auffassung in der Literatur, die vertritt, dass die Frage der Substituierbarkeit in der anwendbaren Rechtsordnung und nicht in der Verordnung beantwortet werden muss. Aber auch diese Ansicht lässt es - im Sinne der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts - genügen, wenn nach Abgabe der Erklärung im Inland dem ausländischen Gericht dies formlos mitgeteilt wird.

 

Zuständigkeiten für die Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses

 

Das europäische Nachlasszeugnis (ENZ) ist in den Artikeln 62 ff. EuErbVO geregelt und ist im Wesentlichen ein "europäischer Erbschein". Weitere Informationen zum ENZ und dessen Beantragung finden Sie hier. Für die Erteilung gelten die oben dargestellten Regeln, Artikel 64 EuErbVO. Grunsätzlich zuständig für die Erteilung des ENZ sind daher die Gerichte des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 4 EuErbVO). Obwohl der Erbe in dem Mitgliedsstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts die Erklärung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft abgeben kann, kann er dort also u.U. nicht das Nachlasszeugnis beantragen. Außerdem kann der Erbe nicht abweichend einen nationalen Erbschein beantragen. Der EuGH hat in einem Urteil entschieden, dass die Vorschriften der Verordnung den nationalen Regelungen vorgehen, sodass auch ein nationaler Erbschein nur beantragt werden kann, wenn die mitgliedsstaatlichen Gerichte nach Artikel 4 ff. EuErbVO zuständig sind.

 

Zusammenfassung

 

Die Erbrechtsverordnung zielt auf einen Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht ab. Die Verordnung will vermeiden, dass Gerichte eines Mitgliedsstaates in der Sache über fremdes Erbrecht entscheiden müssen. Damit soll gewährleistet werden, dass über den Nachlass im Ganzen entschieden wird und in den Mitgliedsstaaten keine sich widersprechenden Entscheidungen ergehen (Entscheidungseinklang). Es sind also im Regelfall die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, dessen Recht anwendbar ist. Eine Übereinstimmung von Zuständigkeit und anwendbarem Recht ist aber insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Erblasser zugunsten seines Heimatrechtes eine Rechtswahl getroffen hat und nicht das Recht des Staates anwendbar ist, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenhalt hatte. Die Zuständigkeit folgt dann nicht automatisch der Rechtswahl. 

 

 

 

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