Anfechtung der Erbschaftsannahme oder der Versäumung der Ausschlagungsfrist

Unterlag der Erklärende bei der Annahme oder der Ausschlagung der Erbschaft einem Irrum, so können die Erklärungen gemäß § 1955 BGB angefochten werden. Die Erklärung erfolgt gegenüber dem Nachlassgericht. Gemäß § 1956 BGB kann die Versäumung der Ausschlagungsfrist in gleicher Weise wie die Annahme der Erbschaft angefochten werden. Es gelten insofern die allgemeinen Anfechtungsgründe (BGH, Urteil vom 29. Juni 2016, Az. IV ZR 387/15 m.w.N.)

Zwar ist die Rechtsprechung recht großzügig dabei, Irrümer als anfechtungsrelevant anzuerkennen. Dennoch kann eine Anfechtung nicht auf jeglichen Irrum des Erklärenden gesützt werden. Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung erscheint hier auch unterscheidlich hohe Anforderungen zu stellen. In jedem Fall ist die Anfechtungserklärung sehr sorgfältig vorzubereiten. Sie sollten hierbei unbedingt den Rat eines Fachanwalts für Erbrecht einholen. Im Folgenden werden einige häufige Irrtümer dargestellt: 

Irrige Annahme des mit Beschwerungen als Erbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren:

Ein zur Anfechtung berechtigender Rechtsfolgenirrtum soll nach Auffassung des BGH z.B. darin liegen, dass der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren (BGH, Urteil vom 29. Juni 2016- IV ZR 387/15). Die Anfechtung der Annahme der Erbschaft kann nämlich nach Ansicht des BGH auch auf einen Rechtsfolgenirrtum gestützt werden, also darauf, dass der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt. Auch der Rechtsfolgenirrtum soll hiernach ein Unterfall des Inhaltsirrtums im Sinne von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB sein. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt nach ständiger Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum.

Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben bei „lenkender Ausschlagung“

Bei einer sog. "lenkenden Ausschlagung" soll auch der Irrtum über die Person des nächstberufenen Erben ein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum als Inhaltsirrtum sein. Mit der Ausschlagung wird nicht nur der Wegfall des Ausschlagenden gemäß § 1953 Abs. 1 BGB bewirkt, sondern gemäß § 1953 Abs. 2 BGB fällt zugleich die Erbschaft dem Nächstberufenen an. Der Anfall der Erbschaft bei dem Nächstberufenen ist somit unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung. Der Irrtum, bei wem die Erbschaft anfällt ist daher, jedenfalls soweit es dem Erklärenden gerade um den Eintritt des Anfalles an einen bestimmten Dritten ankam, beachtlich. Der Erklärende kann nach Auffassung des Senats die Ausschlagung wegen Inhaltsirrtums daher dann anfechten, wenn das Verfehlen des Lenkungsziels darauf beruht, dass die Erbschaft unmittelbar bei einer anderen Person als beabsichtigt eintritt (so OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 6.2.2021 – 21 W 167/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2019 - 3 Wx 166-17; aA KG Berlin, Beschluss vom 11.07.2019 - 19 W 50/19).

Irrtum über die Person, die nach weiterer Ausschlagung durch einen nächstberufenen Erben, Erbe wird.

Irrt der Ausschlagende nicht über die Person, dem die Erbschaft nach der Ausschlagung anfällt, sondern bezieht sich der Irrtum auf die Person, die nach einer weiteren Ausschlagung des zunächst berufenen Erben, Erbe wird, so handelt es sich hier bei nicht um einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum. Die eingetretene Erbfolge ist dann nämlich nicht eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung des Erklärenden, sondern um eine für ihn mittelbare Folge der Ausschlagungserklärung. Eine solche mittelbare Rechtsfolge führt nach Auffassung der Rechtsprechung nicht zu einem beachtlichen Rechtsfolgenirrtum sondern stellt nur einen Motivirrtum dar (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 6.2.2021 – 21 W 167/20).

Fehlvorstellung über den Wert der Nachlassgegenstände oder des Nachlasses

Irrt der Erklärende über den Wert der Nachlassgegenstände soll dies kein zur Anfechtung der Erbschaftsannahme berechtigender Irrtum sein. Der Wert der Nachlassgegenstände oder der Wert des Nachlasses als solcher seien keine verkehrswesentlichen Eigenschaften im Sinne von § 119 Ans. 2 BGB (OLG Köln, Urteil vom 15.5.2017 – 2 Wx 109/17).

Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses

Die Überschuldung des Nachlasses ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses. Eine Sachgesamtheit wie der Nachlass fällt unter den Begriff der Sache im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB. Ein zur Anfechtung der Erbschaftsannahme (oder der Ausschlagung) berechtigender Irrtum liegt vor, wenn der Irrtum bezüglich der Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses, hinsichtlich des Bestandes an Aktiva und Passiva beruht. Fraglich ist, ob ein Irrtum vorliegt, wenn sich der Erklärende keine konkrete Vorstellung über die Zusammensetzung des Nachlasses macht. Teilweise wird ein Irrtum dann abgelehnt (Staudinger/ Otte, § 1954 Rn. 16, BayOBLG, ZEV, 1997, 257,258) Das OLG Köln hat es z.B. als ausreichend angesehen, dass der Erklärende irrig annahm, eine Abfindungszahlung an den Erblasser sei noch nicht verbraucht (OLG Köln, Urteil vom 15.5.2017 – 2 Wx 109/17).

Irrtum über das Bestehen der Ausschlagungsfrist, den Lauf oder die Rechtsfolgen des Ablaufs.

Die Fristversäumung kann wegen Irrtums dann angefochten werden, wenn der als Erbe Berufene die Erbschaft in Wirklichkeit nicht hat annehmen wollen, weil er über ihr Bestehen, ihren Lauf oder die Rechtsfolgen ihres Ablaufs in Unkenntnis gewesen zu sein oder geglaubt hat, bereits wirksam ausgeschlagen zu haben. Darin liegen beachtliche Anfechtungsgründe im Sinne des § 1956 BGB in Gestalt eines Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2015 - IV ZB 39/14; OLG Brandenburg, 19.10.2021 – 3 W 45/21; OLG Rostock NJW-RR 2012; 1356 BayObLG ZEV 1994, 112).

Die Anfechtung ist innerhalb von 6 Wochen zu erklären (§ 1954 BGB). Die Frist beginnt im Falle der Anfechtbarkeit wegen Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört, in den übrigen Fällen mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Die Frist beträgt sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält.

Gemäß § 1957 BGB gilt die Anfechtung der Annahme bzw. die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist als Ausschlagung der Erbschaft.

Für die dann offene Regelung der Erbfolge legt das Gesetz in § 1953 Absatz 2 BGB fest, dass nach den die Ausschlagung erklärenden Erben diejenigen als Erben berufen sind, die auch dann Erben sein würden, wenn die ausschlagenden Erben zum Zeitpunkt des Erbfalls gar nicht mehr am Leben gewesen wären. Die Erbfolge setzt sich also fort. Im Falle der gesetzlichen Erbfolge richtet sich die weitere Erbfolge nach der Ausschlagung nach §§ 1925 Abs. 3 Satz 1, 1924 Abs. 3 BGB. Hiernach erben also die Kinder der Ausschlagenden (Erbfolge nach Stämmen). Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass auch die Kinder des Ausschlagenden die Ausschlagung erklären, wenn diese nicht in die Erbenstellung rücken wollen.

Im Falle der Ausschlagung durch den testamentarisch bestimmten Erben, erben nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB im Zweifel ebenfalls die Abkömmlinge des Ausschlagenden. Dies muss aber nicht so sein, wenn sich ein anderer Wille des testierenden Erblassers feststellen lässt. Gleichwohl sollten auch in diesem Fall immer auch die Abkömmlinge des Ausschlagenden ausschlagen.

Gemäß § 1956 BGB erfolgt die Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht, das nach § 343 FamFG für die Nachlasssache zuständig ist. In der Regel ist es das Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Gemäß § 1956 Satz 2 BGB gelten für die Erklärung die Vorschriften des §  1945 BGB, d.h. die Ausschlagung ist zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form abzugeben.

§ 344 Abs. 7 FamFG bestimmt nunmehr ausdrücklich, dass eine Ausschlagungserklärung gegenüber dem örtlich nicht zuständigen Nachlassgericht fristwahrend und wirksam ist. Die Vorschrift erfasst (vgl. Heinemann, FamFG für Notare, Rdnr. 285) die Entgegennahme der Erbschaftsausschlagung (§ 1945 Abs. 1 BGB), die Anfechtung einer Erbschaftsausschlagung (§ 1955 Satz 1 Alt. 2 BGB) und - trotz Nichterwähnung - auch die Anfechtung nach § 2308 Abs. 1 BGB und die Anfechtung einer Erbschaftsannahme (§§ 1955 Satz 1 Alt. 1, 1956 BGB).

 

 

 

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